Skulpturen

Nach Gemeinden:

Kunst in der Natur

Noch dazu Werke, auf die man sich auf den ersten Blick vielleicht keinen Reim machen kann oder die gar Abwehrreaktionen auslösen

Weite Landschaft, große Kunst - Skulpturenradweg | Skulpturen am Radweg - Kunst in der Landschaft

Weite Landschaft, große Kunst

Ekkehard Brand09.09.2019 | Inmitten unberührter Natur plötzlich das: Ein Kleinwagen dehnt sich aus bis in die Hügel, während ein Aufzug einsam auf Gäste wartet und zwei Straßenlaternen miteinander flirten. Auf 77 Kilometern macht der Skulpturenradweg im Bauland und dem östlichen Odenwald Kunst im wahrsten Sinne des Wortes „erfahrbar“.

Stolz steht er da. So, als gehöre er hierher. Als warte er nur darauf, dass jemand einen Knopf drückt, damit er endlich die Türe öffnen kann: für eine Aufzugfahrt ins Ungewisse. „Wo geht er hin? Das ist die große Frage“, sagt Ekkehard Brand, einer der Ideengeber dieses Skulpturenradwegs, an dem der Aufzug steht, während er sich stumpf in der silberfarbenen Hülle spiegelt. Irgendwie ist tatsächlich Brand schuld daran, dass hier, mitten in der unberührten Landschaft des Baulands ein Aufzug steht. „Das ist etwas Irreales, etwas ganz Absurdes“, findet er. Und dass hier jeder seine Fantasie spielen lassen kann: „Kunst will nicht immer nur schön sein, Kunst will auch inspirieren.“

„Underground“ heißt das Werk zwischen Adelsheim und Sennfeld, das Teil des 77 Kilometer langen Skulpturenradwegs ist. Der aus Dossenheim stammende Künstler Markus Gehrig hat es hier aufgestellt, „in diese schöne Landschaft ganz bewusst ein technoides Objekt gesetzt, einen Kontrapunkt“. Manche Leute haben geschimpft, erzählt der 44-Jährige. „Sie waren …“, er überlegt, „… vielleicht nicht entrüstet, aber schon irritiert“. Doch das will seine Kunst: Dass der Betrachter sich an ihr stört, dass sie etwas auslöst.

25 Stationen liegen an dem Radweg, der durch die Städte und Gemeinden Adelsheim, Buchen, Ravenstein, Rosenberg, Osterburken und Seckach führt. 18 der Skulpturen stehen bereits seit 2005 am Streckenrand, sieben neue sind 2019 hinzugekommen. Zweimal haben die beteiligten Gemeinden dafür einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich die Kunsthochschulen unter anderem in Karlsruhe und Stuttgart beteiligten.

Ekkehard Brand braust los. Im roten Polo-Shirt und in weißen Retro-Turnschuhen wirkt der 73-Jährige so sportlich, dass er die hügelige Strecke auch locker ohne Elektroantrieb schaffen würde. Auch mit „normalen“ Rädern ist die Route kein Problem, aber mit dem E-Bike radelt es sich eben leichter, so kann er erzählen, ohne außer Atem zu geraten. Denn zu erzählen gibt es viel. Ekkehard Brand leitet das Projekt ehrenamtlich. 2002 war der Bürgermeister von Seckach in den Ruhestand gegangen. Aber nur auf dem Papier. Denn für seine Amtskollegen in den Nachbarorten war klar: „Du hast den Skulpturenradweg angezettelt, jetzt setzt du ihn auch um.“ Brand lacht, als er davon erzählt. „Ich hatte ja nach der Pensionierung Zeit für so etwas.“

„Den Alltag über Kultur lebenswerter machen“

Er weiß, dass Kunst Auseinandersetzung bedeutet. Und er meint das wörtlich: Es gab und gibt Kritiker, auch Gegner. Menschen, die wenig bis kein Verständnis dafür haben, dass Geld in Kunst am Waldrand fließt, während es bei der Freiwilligen Feuerwehr oder Kindertagesstätten fehlt. „Ich kann das verstehen“, sagt er. Aber doch gehe es nicht allein um Infrastruktur oder Straßenbau. Sondern auch darum, den Alltag über Kultur lebenswerter zu machen.

Etwa, in dem Bildhauerin Nina Laaf zwischen Zimmern und Seckach das Meer ins Bauland holt. Auf beiden Seiten des Weges bäumen sich Wellen aus blau lackiertem Stahl auf. Ekkehard Brand lässt sich von einer zur anderen treiben – im Ohr jedoch kein Meeresrauschen, sondern Grillenzirpen. Unterhalb Zimmerns tauchen wie aus dem Nichts sieben geschwungene Körper aus Stahl im Gebüsch auf. Drei im Hang auf der einen Seite des Weges, vier auf der anderen. „Wechselwild“ von Ilka Berndt.

Kunst spaltet, aber sie verbindet auch: Brand schwärmt davon, wie Betriebe aus der Gegend die Künstler unterstützten – etwa bei der Materialbeschaffung. Erzählt, dass Menschen aus dem Ort die Bildhauer zum Essen einluden. Oder dass sie hier im Volksmund nur liebevoll von den „Eisbären“ sprechen, wenn es um die großen weißen Fabelwesen mit den vielen Beinen geht – gemeint ist Elisabeth Howeys Werk „Glück unterwegs auf der Suche nach“. Brand legt fast freundschaftlich seine Hand auf einen der „Eisbären“. Er mag sie. Mag, wie lebendig sie sind. Dass manchmal Kinder darauf klettern. Diese Interaktion ohne jede Berührungsangst, die macht Kunst im öffentlichen Raum für ihn aus. Auch die Interpretationsfreiheit: „Sie dürfen Traumfiguren sein“, schreibt die Steinbildhauerin über ihr Werk. „Aber sie dürfen auch als kritischer Kommentar zu einer genveränderten Umwelt gelesen werden.“

Viele der Künstler reagieren mit abstrakten Werken auf konkrete Orte. Sie integrieren das Umfeld – oder sie brechen es bewusst auf. Am Hochwasserrückhaltedamm zwischen Rosenberg und Osterburken ragt der massive, drei Meter hohe Sprungturm des Bildhauers Johannes Wald in die Landschaft. Ein Anblick, der Beklommenheit auslösen kann. Denn das Becken dazu fehlt – oder es entsteht in der Fantasie des Betrachters. Als Synonym für den sagenumwobenen Teufelsrochen liegt zwischen Bronnacker und Rosenberg ein auf 18 Meter langgezogener Manta am Streckenrand. Ein teils plattgewalztes Auto von Stefan Rohrer. Der Betrachter darf es durchaus als Mahnung verstehen, als Symbol eines kurzen Moments der Gefahr: im Meer, im Straßenverkehr. Dass der Mensch mit seinen Bauwerken Natur zerstört, daran erinnert wiederum Rudolf Reiber: Der Künstler hat ein Gerüst, groß wie ein Einfamilienhaus, zwischen Hopfengarten und Merchingen aufgestellt. Ein Bauwerk fernab jeglicher Bebauung.

Ekkehard Brands letztes Ziel an diesem Tag heißt „Subterran“. Dafür hat der Künstler Jochen Damian Fischer einen sechs Meter langen Tunnel graben lassen. Über eine Treppe führt er Besucher durch eine mit Wellstahl verkleidete Röhre ins Innere eines Zylinders. Sieben Meter hoch, darüber: nichts als der Himmel. „Dieser Hall, diese Aussicht, dieses Spiel der Wolken.“ Ungeniert – und sehr treffsicher – stimmt Ekkehard Brand die „Ode an die Freude“ an.

Auch Wolfgang Mackert ist durch den Tunnel gekrochen. Brand hat ihn hergebeten. Denn ihm ist wichtig, dass nicht er das Projekt ist, sondern sie hier alle: Mackert ist in Buchen zuständig für Tourismus, Kultur und Stadtentwicklung. Seit 2019 liegen auch zwei Kunstwerke auf dem Stadtgebiet Buchens. Eine Win-Win-Situation: „Wir können sehr viel Infrastruktur beitragen“, betont Mackert. Das beheizte Waldschwimmbad etwa, die Alla-Hopp-Spielanlage für Kinder im Zentrum, eine Kletterhalle, einen Abenteuerlehrpfad. Vor allem: Hotels, Pensionen und Gasthäuser.

Es sind die Qualität und die Vielseitigkeit der Kunst, die den ehrenamtlichen Projektleiter so stolz machen. Auf der einen Seite wirken sie zunächst vielleicht wie mächtige Fremdkörper. Auf der anderen Seite entpuppen sie ihren Hintersinn, so wie das „Paar im Park“ in Adelsheim. Zwei Straßenlaternen stehen dort am Fluss Kirnau – zu eng beieinander, um normale Straßenlaternen zu sein. Ein Kopf ist rund, der andere eckig. Wenn es dämmert, sieht man sie flirten: über einen in Morsesprache übersetzten Dialog aus Shakespeares Romeo und Julia. „Sie können sich nicht zueinander bewegen, ein Kuss wird nie möglich sein“, schreibt Bildhauer Jan Löchte über seine Kunst. Und so stehen die beiden Laternen seit fast 15 Jahren nebeneinander, ohne wirklich zusammen zu sein.

Währenddessen rüttelt Markus Gehrigs Aufzug wach – weniger sanft als die beiden „Liebenden“. Bei der ersten Ortsbegehung hatte sich der gelernte Bauzeichner und Architekt in seine Kindheit versetzt gefühlt und an Ausflüge zur Eberstadter Tropfsteinhöhle gedacht. Ein Anknüpfungspunkt. Gehrig hatte daraufhin zunächst eine Be- und Entlüftungsanlage geplant. Doch eine wichtige Komponente fehlte ihm dabei: „Was hat der Mensch damit zu tun?“ Also baute er den Fahrstuhl, der darauf verweisen soll, dass abseits des Sichtbaren etwas geschieht, das sich dem Betrachter entzieht. Das aus dem Inneren der Kabine dringende Licht suggeriert dem Betrachter eine mögliche Fahrt in den Untergrund. Durch das Fehlen einer Anzeige erschließt sich jedoch nicht wohin und wie tief. Das lässt Raum für Spekulationen. Und es wirkt auch, als warte der Aufzug nach wie vor. Ungeduldig. Auf den nächsten Fahrgast.

© wo sonst - Das Reise- und Heimatmagazin Rhein-Neckar | Autorin: Anne Jeschke | Fotografie: Julian Beekmann

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